Beratung zu Materialpreissteigerungen und Stoffpreisgleitklauseln

26.09.2022

Aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine, einer brummenden Weltkonjunktur und den Post-Corona-Lieferkettenschwierigkeiten unterliegen Baustoffpreise einer in der jüngeren Vergangenheit nicht bekannten Volatilität.

So stieg der Erzeugerpreisindex des statistischen Bundesamtes (EPI) für Betonstahl gegenüber dem Niveau von Januar 2021 bis zum Juli 2022 auf 182 % des damaligen Preisniveaus, der EPI für Bitumen sogar auf 186 %. Im Spitzenfeld der Preis-Rallye finden sich weiterhin Polystyrol (183 %), Flachglas (169 %) und Kraftstoffe (150 %). Aber auch Zement (124 %) und Holz (129 %) haben üppige Preissteigerungen zu verzeichnen.

Diese Preisentwicklungen gefährden die Kostenziele des einen oder anderen Bauprojekts. Darüber hinaus können sich Bauherren in den derzeitigen Bauvergaben oftmals dem Ruf des Marktes nach einer Vereinbarung von Preisgleitklauseln kaum entziehen. Dieser Beitrag zeigt auf, inwiefern die Projektsteuerung im Rahmen der Grundleistungen nach AHO-Nr. 9 diese Herausforderungen zu adressieren hat.

1 Mitwirken beim Risikomanagement

Zu den Grundleistungen der Projektsteuerung in jeder Projektstufe gehört das Mitwirken beim Risikomanagement (AHO I-A.7, II-A.4, III-A.4, IV-A.4, V-A.4). Hierbei geht es im Kern um die Erstellung einer Risikoliste einschließlich einer eigenen Bewertung der Risiken und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit, wobei die Entscheidung über die Berücksichtigung des Risikos der Auftraggeber zu treffen hat. Der Auftraggeber ist durch die Projektsteuerung in Abstimmung mit den Planern dazu zu beraten, inwiefern im Rahmen des Risikomanagements kostengruppen- bzw. gewerkespezifische Risikotöpfe zur Berücksichtigung von Baukostensteigerungen angelegt werden, die gewissermaßen die Kostenermittlungen der Planer ergänzen. Letztere bilden bekanntermaßen lediglich die hypothetischen Baukosten zum Zeitpunkt der Ermittlung ab und enthalten gerade keine Risikopuffer (DIN 276:2018-12, Ziff. 4.2.4).

In der derzeitigen Beratung kann auf die Erlasse des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWBS) vom 25.03.2022 und 22.06.2022 zu Lieferengpässen und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs verwiesen werden. Diese Erlasse flexibilisieren die Richtlinien für die Anwendung der Stoffpreisgleitklausel gemäß Formblatt 225 und 225a des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB Bund). Sie sind in ihrem zeitlichen Geltungsbereich zunächst bis zum 31.12.2022 beschränkt. Prognostisch ist fraglich, ob bereits das Plateau der Kostenkurve bei den einzelnen Baustoffen erreicht ist und insofern Preise wieder „besser werden“. Wenn man die EPI-Entwicklungen betrachtet, kann man bei Betonstahl und Bitumen nach einem Peak im Mai und Juni 2022 wieder einen Abwärtstrend wahrnehmen. Im Übrigen ist ein ungebrochener Aufwärtstrend zu verzeichnen.

2 Überprüfen der Kostenverfolgung der Planer

Im Rahmen der Überprüfung der Kostenberechnung der Planer hat die Projektsteuerung unter anderem zu hinterfragen, ob die gegenüber der Kostenschätzung fortgeschriebene Kostenermittlung der aktuellen Baupreisentwicklung Rechnung trägt (AHO II-C.2). Führt man sich die einleitend dargestellten Kostensteigerungen über den nur geringen Zeitraum von Januar 2021 bis Juli 2022 vor Augen, wird deutlich, dass innerhalb dieses Zeitraums erstellte Kostenberechnungen gegenüber zuvor erstellten Kostenschätzungen im Hinblick auf ihre zugrunde liegenden Preisdatenbanken bzw. Baukostenindices hinterfragt werden müssen.

Wenn auf Basis der von den Planern in der HOAI-Leistungsphase 6 erstellten, bepreisten Leistungsverzeichnisse die endgültigen Budgets je Vergabeeinheit definiert werden, sind die identifizierten Risiken aus Materialpreissteigerungen in Abstimmung mit dem Auftraggeber einzubeziehen und die Budgets entsprechend anzupassen (AHO III-C.1).

3 Beratung zu Preisgleitklauseln

Die Projektsteuerung ist durch die Grundleistungen nach AHO-Nr. 9 in die Strukturierung der Vergabeverfahren (AHO II-E.4 und III-E.2), die Überprüfung der Vertragsunterlagen für die Vergabeeinheiten (AHO III-E.3), die Vergabeverhandlungen mit Baufirmen (AHO III-E.4) und die generell die Abwicklung der Vergaben (AHO III-B.4) eingebunden.

Im Rahmen dieser Leistungen kann die Projektsteuerung auf die durch die hohe Volatilität der Baupreise ausgelösten Risiken für die Bauvergaben hinweisen und zur Diskussion stellen, ob bei bestimmten Gewerken für gewisse Baustoffe eine Stoffpreisgleitklausel angeboten werden soll. Der Sinn von Stoffpreisgleitklauseln ist es, Risiken aus (Festpreis-)Verträgen herauszunehmen, um so die Marktresonanz zu steigern und günstigere Angebote zu erhalten. Die Projektsteuerung kann hier im Rahmen der Grundleistungserbringung nur Hinweise erteilen unter Verweis auf mögliche Risiken:

  • Die Ausformulierung einer konkreten Stoffpreisgleitklausel ist unzulässige Rechtsberatung; es kann allenfalls auf vorhandene Muster verwiesen werden (z. B Formblätter 225, 225a VHB Bund).
  • Die fachtechnische Entscheidungsunterstützung und Zuarbeit zu der Ausgestaltung einer konkreten Klausel ist zuvörderst Aufgabe des für die Vergabe des Gewerks zuständigen Planers (wobei es sich hierbei um Besondere Leistung des Planers handeln dürfte).

Folgende Hinweise können bei der Beratung von Auftraggebern zu Preisgleitklauseln außerdem hilfreich sein:

3.1

Statt der Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel kann auch in Betracht gezogen werden, den Bietern eine Vorauszahlung (gegen Sicherheit) anzubieten, sodass Bieter unmittelbar nach Beauftragung Material bestellen und so sich Preise sichern können.

3.2

Die bekanntesten Stoffpreisgleitklauseln finden sich in Formblättern 225 und 225a des VHB Bund, deren Lektüre (einschließlich der Anwendungshinweise) empfohlen wird. Bei diesen Klauseln werden bestimmte, definierte Stoffkosten zu einem definierten Abrechnungszeitpunkt mit dem Faktor der Veränderung eines Vergleichsindex des statistischen Bundesamtes multipliziert und so Mehr- oder Minderkosten ermittelt. Bei den Formblättern 225 und 225a handelt es sich mithin um indexgebundene Preisgleitklauseln, weil sich die Preisgleitung an die (für Dritte überprüfbare) Preisentwicklung eines Vergleichsindex anlehnt.

3.3

Auch gebräuchlich sind IST-kostenbasierte Stoffpreisgleitklausel, bei denen sich die Preisgleitung aus der Differenz zwischen bei Vertragsschluss offengelegten, kalkulierten Stoffkosten und den (späteren) tatsächlichen Einkaufskosten des Auftragnehmers richtet.

3.4

Den typischen, indexbasierten oder kostenbasierten Stoffpreisgleitklauseln ist gemein, dass sich die aus der Preisgleitung ergebenden Mehr- oder Minderkosten allein aus der Differenz zwischen den ursprünglichen und den aktualisierten Stoffpreisen ermittelt und nicht die komplette Preiskalkulation der Bauleistung auf Basis der aktualisierten Stoffkosten fortgeschrieben wird, also die Stoffmehrkosten nicht nochmals mit Zuschlägen für AGK, Wagnis und Gewinn und ggf. BGK versehen werden.

3.5

Typisch für Stoffpreisgleitklauseln sind außerdem gewisse Zumutbarkeitsschwellen („Anspruch aus Preisgleitung erst ab einer Preisschwankung von mindestens X %“) und Eigenanteile der begünstigten Partei (z. B. Mehrkostenerstattung abzgl. 30 % Eigenanteil).

3.6

Die Stoffpreisgleitklauseln gemäß VHB Bund werden oftmals als zu kompliziert empfunden und daher Vereinfachungen vorgenommen, z.B.

  • wird ein der Preisgleitung unterworfener Stoffkostenanteil von den konkreten Einzelstoffen und ihren Mengen abstrahiert als Pauschalsumme vereinbart und der Gleitung nach einem bestimmten Index unterworfen und/oder
  • es werden die Abrechnungszeitpunkte für die Bestimmung der Preisgleitung begrenzt auf einige wenige Zeitpunkte (z.B. einmalig zu einem bestimmten Stichtag, zu welchem die Vertragsparteien davon ausgehen, dass die wesentlichen Materialbestellungen durchgeführt sein werden).
3.7

Sofern eine Preisgleitklausel mit einer Baufirma vereinbart wurde, ist es erforderlich, dass die Objektüberwachung im Rahmen der Rechnungsprüfung die sich aus der Preisgleitklausel errechnete Mehr- oder Mindervergütung prüft. Dieser Prüfungsaufwand dürfte allerdings eine Besondere Leistung der Objektüberwachung sein, weil bis vor kurzem Preisgleitklauseln kaum vereinbart wurden und daher deren Berücksichtigung im Rahmen der Rechnungsprüfung alles andere als eine im Allgemeinen erforderlich Leistung i. S. v. § 3 Abs. 1 S. 2 HOAI (2021) ist. Die Projektsteuerung muss Rechnungsprüfungen der Objektüberwachung überprüfen (AHO IV-C.3), wobei die Überprüfung der richtigen Prüfung der gemäß Preisgleitklausel abgerechneten Kosten (auch) Besondere Leistung ist.

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